Anja Harteros in den Vier Letzten Liedern

von Wiener Konzerthaus
Anja Harteros, Photo © Marco Borggreve
Es mag eines von vielen, selten präzise definierbaren, Qualitätsmerkmalen wirklich großer Musik sein, dass diese Musik nicht nur Raum zur vielfältigsten und unterschiedlichsten Interpretation lässt, sondern gerade in dieser Vielfältigkeit seine ganze facettenreiche Größe zum Besten gibt. Das gilt sicherlich für Richard Straussens
Vier letzte Lieder, die noch und gerade in grundverschiedenen Interpretationen am hellsten strahlen. Alleine das Geigensolo in „Beim Schlafengehen“ und die darauffolgenden Zeilen („Und die Seele unbewacht / will in freien Flügen schweben / um im Zauberkreis der Nacht / tief und tausendfach zu leben“) sind so unbeschreiblich schön, dass sie gehört werden müssen. Manch anderer Komponist wäre glücklich gewesen aus so einer musikalischen Phrase eine ganze Karriere zu machen; Strauss, zugegebenermaßen sowieso schon am Ende seiner Karriere, nimmt den Gedanken nur einmal, zweimal, lässt los und bedient sich seines nicht wieder. Traumhaft.
Wie so oft bei sehr bekannten Werken, die in ihrer Form und Art lange genug auf eine bestimmte Weise überliefert wurden, gibt es unbekannte Fragezeichen: So ist nicht nur die von Strauss beabsichtigte Reihenfolge der Lieder keineswegs klar, sondern nicht einmal, ob diese Lieder ursprünglich als Gruppe geplant waren. Der wunderbar suggestive Titel der
Vier letzten Lieder und die inzwischen zum unangetasteten Standard gewordene Reihenfolge („Frühling“, „September“, „Beim Schlafengehen“, „Im Abendrot“) stammen von Straussens Freund, dem Verlagsleiter von Boosey & Hawkes.
Lisa della Casa, Richard Strauss’ „ideale Arabella“, nahm die
Vier letzten Lieder mit Karl Böhm und den Wiener Philharmonikern 1954, vier Jahre nach der Premiere, in einer anderen, angeblich von Strauss vorgezogenen, Reihenfolge auf. („Beim Schlafengehen“, „September“, „Frühling“, „Im Abendrot“ – wie sie Kirsten Flagstad auch bei der Londoner Premiere sang.) Die Aufnahme ist über ein halbes Jahrhundert später immer noch ein Meilenstein der Strauss-Diskographie: So unverblümt helle Schönheit und ohne je dem „Affen Zucker zu geben”, was bei Strauss generell – und den
Vier letzten Liedern besonders – leicht passiert, hat auch in (gutem) Mono-Klang noch die Kraft verzaubernd zu wirken.
Ganz anders ist die Aufnahme von
Gundula Janowitz mit Herbert von Karajan und den Berlinern. Janowitz’ Stimme ist weniger von der konventionellen Schönheit die man vielleicht erwartet: eine vielleicht als flach, silbern zu benennende Qualität; gar mit etwas Blech gemischt.
Wellblech, wahrscheinlich, weil das – hervorragend kontrollierte – Vibrato recht ausgeprägt
ist. Das ist eigen, aber auch ergreifend, die wunderbare Natürlichkeit ihrer Interpretation ist erschütternd und ihre Atemführung wird, wenn überhaupt, nur von Jessye Norman übertroffen.
Das ist auch notwendig, denn Karajan ist in dieser Aufnahme, seiner zweiten von drei, so langsam und breit wie sonst nur Christoph Eschenbach (Renée Flemings erste Aufnahme), Klaus Tennstedt (mit Lucia Popp) und eben Kurt Masur mit
Jessye Norman. Letztere Aufnahme übertrifft spätestens „Im Abendrot“ (fast 10 Minuten lang, wo della Casa mit unter 6 auskommt) alles an Breite und luxuriöser Sämigkeit dagewesene. Tief und Wagnerisch, bedächtig und mit Unmengen Schlagobers singt sich Norman mit Masur durch die Lieder wie eine Göttin auf Wolken heranschwebend… bei Windstille. Da ist dann auch die Diktion – nicht die penibelste bei Norman – wirklich zweitrangig.
Elisabeth Schwarzkopf, die mit Georg Szell die erste Stereoaufnahme zur
Vier letzten Lieder Diskographie beisteuerte, galt lange als Hohepriesterin der
Vier letzten Lieder. Aber in dieser, ihrer dritten, Aufnahme wird schon ein bisschen geschummelt, wird doch „Frühling“, das schwierigste Stück, gerade was die hohen Noten betrifft, einen Halbton heruntertransponiert. Zudem ist die Schwarzkopfsche Perfektion ihres Duktus so fortgeschritten, dass es knappe 60 Jahre später mehr Manerismus denn Perfektion scheint. Also lieber ihre, auch von Kritikern wie Tim Page, bevorzugte erste Aufnahme mit Otto Ackermann, wo sich diese Eigenheiten weniger bemerkbar machen. Immer noch bemerkbar allerdings ist diese ganz eigene, großartig eingesetzte Stimme, die an sich ja gar nicht so besonders schön klingt; etwas spitz und hart und doch aus gutem Grund begeistern kann und konnte.
Mitlerweile gibt es wohl vier Dutzend Aufnahmen zu denen 2010 auch die von
Anja Harteros mit Mariss Jansons und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunk gestoßen ist. Aufgenommen in einem Konzert in der Philharmonie in München (bei der ich die Freude hatte präsent zu sein).
Opernhafte, geradezu stählerne Größe, Klarheit, sexy rauchige Tiefen in „Der Frühling“ die eines Mezzo würdige wären und absolute Präzision machen unter anderem diese, inzwischen schon wieder fast sechs Jahre alte Intepretation aus. Wie im Konzert selber so ist auch auf der Aufnahme das Orchester zurückhaltend und Anja Harteros’ Stimme mit so viel Durschlagskraft gesegnet, dass sie in keinem Moment angestrengt erscheint. In „Im Abendrot“ wurde Harteros‘ Stimme dann, nach so viel an beeindruckender Stärke, wunderbar warm – als hätten sich die letzten Finger eine untergehenden Sonne spätrot flammend noch auf sie gelegt.» ¶
jfl
Am 9. und Vier letzten Lieder inzwischen interpretiert, in zwei Konzerten der Wiener Symphoniker unter François-Xavier Roth, und einem Programm das ausser Strauss noch Hector Berlioz (Ouverture «Le roi Lear» op. 4) und Camille Saint-Saëns (Symphonie Nr. 3 c-moll op. 78 «Orgelsymphonie») enthält.
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04.12.2014
um
10:04
| Publiziert in:
Klassik, Hörprobe, Playlist
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